Shinichi Tanaka, ein 51-jähriger, freundlicher Japaner mit einem sympathischen Akzent, lässt seinen Blick über die frischen Zutaten schweifen, die vor ihm auf der Arbeitsfläche liegen und erzählt von seiner Rolle als Chefkoch. Direkt vor dem „ann Japanese Restaurant“ in der Falckstraße befindet sich der beschauliche Kleine Kiel, dessen sanfte Ruhe mit der Ausstrahlung des Sushimeisters in Einklang zu sein scheint.
Kaiseki ist etwas Exklusives, ein Erlebnis, das so in der Art und Weise nur ein einziges Mal im Leben passiert.“ Mehr Ehrfurcht als Begeisterung schwingt in seiner Stimme mit. „Als Chefkoch ist es meine Aufgabe, ein unvergleichliches Menü zu kreieren, das die Gäste nicht vergessen.“ Nur die frischesten, geschmackvollsten, knackigsten, farbenfrohsten und quali- tativ hochwertigsten Lebensmittel, die er bekommen kann, finden ihren Platz auf seinen Tellern, die Gemälden ähneln.
Denn in dem Moment, in dem das Lebensmittel gepflückt, geerntet oder gefischt wird, ist es am besten. Ab da verliert es mit der Zeit seine vitalisierenden Inhaltsstoffe und Aromen und somit auch seine Berechtigung, in einem Kaiseki-Menü verwendet zu werden. Um dieser Misere zu entgehen, gibt es sogar einige japanische Restaurants, die ihre Zutaten für das Kaiseki in einem eigenen Garten anbauen. So kann die Zeitspanne von der Ernte bis zum Servieren möglichst kurz gehalten werden. Denn schließlich soll jedes Element, das dem Gast präsentiert wird, nicht nur schmackhaft, sondern vor allem eine Wohltat für Körper und Geist sein.
Eine Kultur, die bis ins 15. Jahrhundert zurück geht
"Der Genuss eines Kaisekt-Menüs ist für den Gast ebenso besonders wie für den Koch."
Kaiseki kommt in Japan der französischen Haute Cuisine gleich und wird selbst heute nur in gehobenen Restaurants zu besonderen Anlässen serviert. Die Tradition der 7 bis 14-gängigen Menüs ist tief in der japanischen Kultur verankert und geht auf eine Jahrtausende alte Konvention zurück. Der Ursprung liegt in der Teezeremonie, wie sie schon in der alten Samuraizeit unter Mönchen gepflegt wurde. Der Kern und die Wurzel dessen stehen für eine alte Philosophie, die ein privilegiertes Esserlebnis verspricht, bei dem man sich sofort besonders fühlt. Die kleinen Gänge sollten schon damals für die Mönche nicht zu üppig, sondern leicht verdaulich aber trotzdem vitalisierend ausfallen, um bei späteren Meditationen nicht zu schwer im Magen zu liegen.
Der Genuss eines Kaiseki-Menüs ist für den Gast ebenso besonders wie für den Koch. Auch in Japan ist es kein Alltagsessen, sondern feierlichen Angelegenheiten vor- behalten. Gang um Gang steigert sich das ehrfürchtige Gefühl vor diesem ästhetisch einwandfreien Erlebnis, das Sinne weckt, Intellekt beglückt und die Seele nährt. Auch falls manche Speisen fremd schmecken oder den persönlichen Geschmack nicht punktgenau treffen, geht man später selig aus dem Erlebten heraus, denn man fühlt, dass man sich selbst etwas Gutes getan hat. Und noch mehr fühlt man sich auf Grund der Sorgfältigkeit, mit der die einzelnen Gänge zubereitet wurden, zutiefst wertgeschätzt. Shinichi Tanaka, ein zurückhaltender Mensch, dem alle Türen der japanischen Restaurantwelt Deutschlands offen stehen, hat ein ambitioniertes Team hinter sich, das seine Vision lebt. Die Inhaber, Yuko und Shuichi Umino, sehen sich als Dirigenten des
Ganzen. Nicht zuletzt, weil sie selbst Musiker sind. Er war jahrelang Opernsänger beim Kieler Theater und sie Pianistin. Das Thema Kunst zieht sich wie ein roter Faden durch das Restaurantkonzept und führt vom Team zum Teller bis hin zu den Wänden und der Ausstattung.
Das moderne Ambiente wurde durch das preisgekrönte Architekturbüro KRAUS- SCHÖNBERG aus Hamburg entworfen. „Seit Ende 2019 sind wir hier“, erzählt Shuichi Umino. Zuvor hatte das Restaurant seinen Sitz in der Holtenauer Straße auf Höhe des Schauspielhauses. Doch die neuen, gehobenen Räumlichkeiten passen nun noch besser zum Bestreben des Betriebs. „Wir haben unseren alten Laden nicht aufgegeben, sondern mit einem neuen Konzept verändert. Weil Ramen ein traditionelles Gericht aus unserer Heimat ist, liegt der Schwerpunkt in der Holtenauer Straße nun auf der japanischen Nudelsuppe.“ Mit dem Vertrauen der Inhaber im Rücken, hat Herr Tanaka für die Umsetzung der perfekten Kaiseki-Zeremonie außerdem den japanischen Patissier Shoya Kojima aus Osaka an seiner Seite. Der ausgezeichnete Meister der Zuckerkunst hat bereits zehn Jahre lang Erfahrung als Patissier gesammelt und arbeitete unter anderem in einem Fünfsternehotel sowie in einer populären Konditorei in Osaka.
Shinichi Tanakas Kreationen sind keine Zufallsprodukte, sondern das Ergebnis von stetigem Nachdenken, Entwickeln sowie seiner jahrelangen Erfahrung. Nichts ge- schieht einfach so, hinter jedem Einzelteil steckt eine Geschichte. Makellos frisches Sashimi, minimalistische Nigiri, die an die historische Edo-Zeit erinnern sollen und Suppen und Saucen auf Dashi- oder Misobasis, die zugleich zart und würzig sind. Sushi steht bei Kaiseki im Mittelpunkt und am Reis erkennt man den Profi – nicht überwürzt und von perfektem Biss. Die herausragende Fischqualität fällt auch Nichtkennern auf und – wo möglich – wird regional gekauft. Der Aal ist mit seinem weißen, beinahe transparenten Fleisch ein wahrer Genuss und wird von der „Fischzucht Reese“ in der Nähe von Neumünster aufgezogen. Einen noch kürzen Weg hat die Kieler Lachsforelle. Doch manche Zutaten sind regional nicht ganz so leicht zu erwerben, wie zum Beispiel der Lachs. Aus Qualitätsgründen verwendet Herr Tanaka ausschließlich schottischen Lachs, weil er im Gegensatz zum norwegischen Lachs nicht auf Masse gezüchtet und hochwertig gefüttert wird. Nicht nur die Lebensmittel, sondern selbst die Teller und Schüsseln – sozusagen die Leinwände – wählt der Sushimeister acht- sam aus. Alles muss stimmig sein und der Philosophie entsprechen. Diese Feinsinnigkeit der Präsentation liegt dem Ursprungsort Kyoto zugrunde. Die einstige japanische Hauptstadt gilt nämlich nicht nur als Entstehungsort der Kaiseki- Küche, sondern ist allgemein für ihr viel- fältiges Traditionshandwerk bekannt. So können die Köche schon seit jeher von dem traditionellen Töpferhandwerk in Kyoto profitieren und explizit für die Zeremonie passende Keramik auswählen.
Bevor Herr Tanaka sich der Berufung des Sushimeisters widmete, studierte er übrigens an einer Kunsthochschule. Die perfekte Vorbereitung für seinen Weg als Meister der Kaiseki-Zeremonie. Er begleitete bereits 2010 das „ann Japanese Restaurant“, als es als das erste japanische Restaurant in ganz Schleswig-Holstein eröffnete. „Wir waren sozusagen Pioniere auf dem Gebiet“, erzählt Shuichi Umino. „Es war mir eine Herzensangelegenheit, meine neue Heimat Kiel mit der Küche meines alten Zuhauses zu beglücken.“ Die Erwartungen wurden übertroffen und es schien so, als ob ganz Norddeutschland auf traditionell zubereitetes, hochwertiges Sushi gewartet hatte. „Die ersten 6 Monate waren wir komplett ausgebucht“, erinnert sich Umino. Unter Kennern mauserte sich das neue Restaurantkonzept zu einem place to be. „Den Erfolg verdanken wir unserem ambitionierten Sushimeister Tanaka.“ Doch zu aller Überraschung verließ Herr Tanaka nach drei Jahren das Restaurant, um seinen kulinarischen Horizont zu erweitern und begab sich auf eine Lehrreise. Vom Münchener Restaurant Toshi über das Berliner Zenkichi bis zu dem weltbekann- ten Sushirestaurant Matsushisa auf Zypern reiste Herr Tanaka umher, verfeinerte seine Fähigkeiten und reifte dabei seinen eigenen Küchenstil aus. Es sind keine Standard-Ge- richte, die er seit Herbst 2020 in Kiel wieder auf die Teller bringt – sondern Speisen, die seinen eigenen Werdegang als japanischer Spitzenkoch widerspiegeln. Nicht schwer vorzustellen, dass dieses Restaurant nun nach der Rückkehr seines alten Meisters wieder eine ganz eigene Anziehungskraft auf die Kieler*innen ausübt, die abends durch die Altstadt schlendern und auf der Suche nach einem Ort des Genusses sind.
So finden und erreichen Sie uns:
ann Japanese Restaurant
Falckstraße 16 • 24103 Kiel
Tel. 0431 – 69 661 444
Web: www.annrestaurant.com
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