top of page
  • AutorenbildJO.

EINE HANDWERKERIN MIT NADEL UND FADEN

Die Maßschneiderin Angela Ziemer erzählt uns aus ihrem bunten Alltag und beschreibt den spannenden Entstehungsprozess eines neuen, maßangefertigten Kleidungsstücks.


„Modemacherin zu sein ist mein Lieblingsberuf, das Schneiderhandwerk meine ganze Leidenschaft und jeden Tag im Atelier frage ich mich, wann ich endlich anfangen muss zu arbeiten. Viele Menschen sind schon am Sonntag vom zu erwartenden Montag genervt. Ich dagegen weiß nicht einmal, welchen Wochentag wir haben oder schaue etwa regelmäßig auf die Uhr.“ Das Ziel der Ausbildung zum Maßschneider wird lapidar mit den Worten „Herstellen eines Großstückes“ beschrieben. Wie komplex und facettenreich diese nüchterne Beschreibung in Wahrheit ist, erlebt man tatsächlich erst im Laufe des Herstellungsprozesses. Für Angela Ziemer, Schneidermeisterin aus Kiel, geht dieser Beruf noch viel tiefer. Dass sie für ihre Arbeit brennt, steht außer Zweifel. „Dieses wunderbare Phänomen, sich von Texturen, Oberflächen, Farben und Haptik entführen zu lassen und darin zu schwelgen, eine Vorfreude zu erzeugen und eine intensivere Auseinandersetzung mit dem entstehenden Kleidungsstück zu erleben, ist niemals mit dem relativ schnellen Kauf einer Konfektionsware zu vergleichen.“ Wer Fast Fashion sucht, ist bei Angela Ziemer fehl am Platz – denn in der Regel dauert die Herstellung eines neuen Stückes vier bis sechs Wochen. Im Atelier von Angela Ziemer entstehen exklusive Einzelstücke, die auf eine einzige Person abgestimmt sind und ihre eigene Persönlichkeit in sich tragen. Die Fertigung eines individuellen Kleidungsstücks ist komplex und facettenreich. Die größte Herausforderung dabei ist wohl die grundlegende Tatsache, dass dieses Unikat, mit dem die Kundin eines Tages das Atelier verlassen wird, bei ihrem ersten Besuch noch gar nicht existiert.

In erster Linie geht es also darum, für die Kundin genau das Kleidungsstück sichtbar zu machen, das sie bisher in ihrem Kopf getragen hat. „Meine Aufgabe ist es, den Stil der Frau zu erspüren und genau die Passform zu der vor mir stehenden Figur zu erfassen“, erklärt Angela Ziemer die Anforderungen, die ihren Arbeitsalltag so spannend machen. Im Gespräch finden dann die Vorstellungen der Kundinnen und die Erfahrung der Maßschneiderin zusammen. „Ich begleite die Kundinnen bis zur Übergabe ihrer Wunschgarderobe mit meinem Fachwissen und meinem Know-how. Alle Arbeitsgänge entstehen hier in meinem Atelier.“ Angela Ziemers hohes Maß an Feingefühl, Farb- und Formverständnis und an Begeisterung für das Arbeiten mit Textilien ermöglichen es, die Wünsche und Ideen der Kundinnen zu realisieren – zunächst als Entwurfsskizze auf dem Papier. „Anhand der Vorlieben zu bestimmten Schnitten, Dekolletéformen, Ärmel- und Beinlängen sowie Farben zeichnen wir mögliche Optionen und erkennen dabei sukzessive, in welche Richtung sich der Entwurf entwickelt.“ Mehr und mehr nimmt die Idee dann Gestalt an.

Nach der Skizze erfolgt die praktische Arbeit am Material. Für das individuelle Styling werden die Stoffe ausgesucht, stets unter der Berücksichtigung des Falles, der Weichheit, der Griffigkeit, der Farbe und sogar der Geräusche – denn Seide knistert zum Beispiel, erklärt die Modeexpertin. Auch der spätere Einsatzbereich spielt bei der Stoffauswahl eine große Rolle. Im Atelier können die Kundinnen in ihrem eigenen Tempo eine Vielzahl an haptisch und optisch ansprechenden Stoffen entdecken, bis sie die richtige Wahl gefunden haben. Und sollte hier kein geeigneter Stoff dabei sein, dann wird gemeinsam in den Katalogen und Angeboten der ausgesuchten Stofflieferanten recherchiert. Sind die richtigen Stoffe erst einmal gefunden, beginnen die eigentlichen Arbeitsgänge zur Herstellung des Kleidungsstückes – wie Zuschneiden, Bügeln, Nähen und Drapieren. Das nimmt immerhin den Großteil der täglichen Routine einer Maßschneiderin ein. „Mit jeder genähten Naht kommen wir dem Ergebnis näher, ein zauberhaftes Gefühl aus einem Stück Stoff schließlich ein dreidimensionales Gebilde zu erstellen. Von einer planliegenden Variante zu einem schmückenden neuen Outfit, von einer grauen Bleistiftskizze zu einem opulenten Ballkleid.“ Jeder Tag fordert Angela Ziemer mit den unterschiedlichsten Entscheidungen. Denn sie weiß um die Wichtigkeit der gewählten Kleinzutaten wie beispielsweise Garnfarbe, Garnstärke oder der Wahl zwischen Knöpfen oder Reißverschluss.


In ihrem Atelier im Grasweg 8 zwischen Nähmaschinen, Zuschneidetischen und Kleiderständern bewegt sich Angela Ziemer so, als wäre es ihr Wohnzimmer – und tatsächlich schneidert sie seit 27 Jahren Lieblingsstücke auf den Leib. Angetrieben von ihrer Leidenschaft, glaubt Angela Ziemer an Nachhaltigkeit – sowohl in Bezug auf die Lebensdauer von Kleidung als auch im Hinblick auf die Qualität ihrer Arbeit. Dass Kleidungsstücken oder „alten Schätzchen“, wie die Modemacherin sie liebevoll nennt, in ihrem Atelier wieder neues Leben eingehaucht werden kann, indem ihre Passform optimiert oder Kleinigkeiten verändert werden, ist für sie eine Herzensangelegenheit. „Nachhaltigkeit, Komfort und Sicherheit sind für uns wichtige Begriffe. Es geht nicht um die schnelle Herstellung von Kleidung, sondern um eine lange fachliche Begleitung und das Vermitteln von Wohlgefühl.“ „Im Gegensatz zur Konfektion fertigen wir mit deutlich großzügigeren Nahtzugaben, sodass wir auch im Laufe der Jahre mit dem Wunschkomfort der Kundin einhergehen können. Uns ist es ein großes Anliegen, beste Qualitäten auf höchstem Niveau zu verarbeiten, damit das neue Lieblingsstück jahrelang bestehen kann“, so die Maßschneiderin. Daher sind die Entwürfe oftmals zeitgerecht, aber nicht immer hochmodisch, damit eine langjährige Trageleidenschaft garantiert werden kann. „Wir erfüllen Wünsche, die individuell, passformgenau und langlebig sind.“ Egal ob Rock, Bluse, Kleid, Anzüge, Jacketts, Mäntel und auch Ballkleider und Hochzeitskleider – Angela Ziemer kreiert jedes einzelne Kleidungsstück nach den Ansprüchen und Wünschen der Kundinnen. Die maßangefertigte Garderobe besticht vor allem aufgrund ihrer tadellosen Passform und lässt sich damit auf den ersten Blick von Kleidungen von der Stange unterscheiden. „Bei näherer Betrachtung erlebt man den Stoff haptisch ganz anders, ebenso die liebevollen kleinen Details, welche die Einzigartigkeit unserer handwerklichen Arbeit unterstreichen.“ Was Angela Ziemers Arbeit dabei immer zugrunde liegt, ist der Austausch mit ihrer Kundin. „Dieser enge Dialog schafft eine besondere persönliche Nähe“, erklärt die Maßschneiderin das intensive Wechselspiel. „Bis ein individuell angefertigtes Kleidungsstück fertig ist, sehen wir einander meist dreimal. Und es ist immer wieder aufregend und bezaubernd, die Freude und Erwartung der Kundinnen zu sehen: das Wachsen der teilweise eigenen Ideen, die unterschiedlichen Stufen der Verarbeitung und letztendlich das fertige Produkt, passformgenau und einzigartig.“


Und auch in ihrem Anspruch an sich und die Qualität ihrer Arbeit agiert Angela Ziemer stets zukunftsorientiert. Um „immer auch ein bisschen über den Tellerrand zu schauen und sich von anderen Könnern inspirieren zu lassen“, ist sie normalerweise wenigstens zweimal im Jahr auf Stoffmessen und ebenso häufig auf Modemessen in Florenz, München, London und Berlin unterwegs. Im letzten und auch diesem Jahr ist natürlich alles ein bisschen anders. Dennoch ist das Maßschneiderhandwerk ein Beruf, der niemals aus der Mode kommt – denn die Nachfrage für Mode made in Schleswig-Holstein steigt. „Textilliebhaber und Modeinteressierte mit einem flinken Händchen können sich zum Ausbildungsstart 2021 bei Frau Rothe und Frau Lohse melden. Die beiden sind Ansprechpartnerinnen für die Kreishandwerkschaft von der Landesinnung modeschaffendes Handwerk Schleswig-Holstein in Lübeck“, erzählt Angela Ziemer. Den Moment, in dem ihre Kundin bei der finalen Anprobe am Körper spürt und im Spiegel sieht, was bis dahin nur eine Idee in ihrem Kopf war, beschreibt Angela Ziemer mit besonderer Wertschätzung: „Das Leuchten in den Augen der Kundin, die gemeinsame Begeisterung, das fröhliche Gekicher und die Herzlichkeit bei der Übergabe, die ja schon während der Zusammenarbeit gewachsen ist – diese Begegnungen geben mir in meinem Beruf ein Lebenselixier, das mich täglich glücklich macht.“


Modemacherin Obermeisterin der Landesinnung Betriebswirtin Angela Ziemer Grasweg 8 • 24118 Kiel • Tel. 0431/978167


Kontaktdaten zur Ausbildung: Landesinnung Mode schaffendes Handwerk Schleswig-Holstein Gustav-Adolf Straße 7a 23568 Lübeck

Ansprechpartnerin Kreishandwerkerschaft: Frau Rothe/ Frau Lohse: 0431/ 3895901

0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page