In ihrem Souterrain-Geschäft „Perozo“ erzählt Janet Perozo von ihrem Leben und dem, wie sie es nennt, schicksalhaften Moment, der zu ihrer Idee führte, alltägliche Krankenhauskleidung neu zu denken und damit allen Müttern eine Alternative hin zu mehr Komfort und Privatsphäre zu bieten.
Mit 24 Jahren lernte sie ihren damaligen Partner während seines Urlaubs in ihrer Heimat Caracas in Venezuela kennen und entschied sich kurzerhand, ihn im Gegenzug in seine Heimat nach Deutschland zu begleiten. Nach einem Monat im Winter Kiels kam sie kurze Zeit später zurück: dieses Mal für ein halbes Jahr im deutschen Sommer. Die Beziehung zerbrach kurz darauf, doch Perozo entschied sich, in Kiel zu bleiben. Im Gespräch erzählt sie, dass ihre Eltern sie damals ermahnten, nicht nur für einen Mann nach Deutschland zu gehen, sondern nur zu gehen, wenn sie dort selbst etwas machen wolle. Genau das tat sie dann, indem sie ihr Studium zur Industriedesignerin an der Muthesius Kunsthochschule absolvierte. Im Anschluss wollte Janet eigentlich in den Süden des Landes oder die Schweiz weiterziehen, jedoch begegnete sie ihrem heutigen Ehemann Tom und wurde prompt schwanger. Durch ihre erste Schwanger- schaft und die Kaiserschnitt-Geburt ihres Sohnes Yakob wurde ihr die Entscheidung, in den Süden zu ziehen, abgenommen und sie blieb auch weiterhin in Kiel. Gegen Ende ihrer zweiten Schwangerschaft mit ihrer Tochter Matilda traten Kompli- kationen auf, weshalb sich die Ärzte erneut für einen Kaiserschnitt entschieden. Nach beiden Entbindungen und vor allem als frischgebackene Mutter fand sie die klassischen Krankenhauskittel ganz furchtbar.
Diese sind nur im Rückenbereich geöffnet und dadurch ist es unpraktisch und vor allem sehr unangenehm, das Neugeborene zu stillen, denn die junge Mutter muss sich dabei komplett entblößen. Dadurch kam ihr die Idee, ein neuartiges Patientinnenhemd mit eingebauter Kellerfalte auf der Vorderseite zu entwerfen. Nach einer neunmonatigen Schwangerschaft und meist körperlich auslaugenden Geburt sollte sich Perozos Meinung nach keine Mutter mit sozialen Normen oder unpraktischer Kleidung auseinandersetzen müssen. Mit dem „Supplymom“ genannten Pflegehemd soll es Müttern möglich sein, ihre Babys bequem zu stillen.
"Es soll Müttern möglich sein, ihre Babys bequem zu stillen."
Janet konnte als Erstes die Chefärztin für Gynäkologie und Geburtsmedizin im Vivantis Auguste-Victoria-Klinikum in Berlin von den neuartigen Patientinnenhemden überzeugen. Hier ist die praktische Klinikkleidung seit Juli im Einsatz und wenn einer jungen Mutter das Hemd so gut gefällt, dass sie es behalten möchte, kann sie es auch käuflich erwerben. Das Hemd gibt es übrigens in zwei verschiedenen Farben, nämlich in Hellblau mit gelbem Band und Rosa mit grünem, denn Janet sagt mit Überzeugung: „Grau war
gestern, jetzt kommt Farbe in den Kreißsaal!“
Hinzu kam eine neuartige Kollektion von Stillmode: Hemden, Blusen und Kleider. Die Frau und Mutter sowie ihr Wohlbefinden werden bei Perozos Entwürfen in den Vordergrund gestellt. Sie sollen zum einen bequem wie auch modisch kleidsam sein und gleichzeitig – vor allem in der Öffentlichkeit – ihre Intimsphäre vor den Blicken anderer schützen. Hierzu sagt Perozo klar, dass der Prozess des Stillens eine völlig natür- liche Sache sei und auf keinen Fall mit einem Gefühl der Scham in Verbindung gebracht werden soll. Dennoch gibt es häufig Situationen, in denen gerade junge Mütter sich unwohl dabei fühlen, ihr Neugeborenes mit der Brust zu stillen. Egal, ob dies noch im Kreißsaal beim ersten Körperkontakt mit dem Neu- geborenen oder später während eines Spaziergangs mit Kinderwagen der Fall ist. Ihr Ziel ist es, Mütter mit ihren Entwürfen im Muttersein zu unterstützen, damit sie sich zum einen im aktuellen Design einkleiden und zum anderen separat und privat ihren Säugling versorgen können, ohne sich dabei isolieren zu müssen.
Das gleiche Motto, „separat, aber nicht isoliert“, ist auch das Credo ihres neuesten
Projekts – einem mobilen, modularen Stillraum. Das in Kooperation mit der Kieler Tischlerei Prototyp entstandene Baukastensystem soll Müttern ebenso wie
(alleinerziehenden) Vätern vor allem im öffentlichen Raum einen ruhigen Ort bieten, an dem sie sich ungestört um die Bedürf- nisse ihrer Kinder kümmern können. Diese kleinen Ruheinseln sind so konzipiert, dass sie an die vorhandenen Gegebenheiten und die jeweiligen Nutzer*innen angepasst werden können.
So haben etwa Mütter einen Rückzugsort, um ihr Kind in aller Ruhe und ohne fremde Blicke zu stillen. Väter, alleinerziehend oder nicht, erhalten durch ansonsten häufig fehlende Möglichkeiten erstmals einen Ort, um ihre Kinder wickeln zu können. Der erste Stillraum seiner Art ist seit März 2021 an der Muthesius Kunsthochschule zu finden.
Für ihre neu gedachte Stillmode erhielt Perozo 2018 im Zuge des Ideenwettbewerbs Schleswig-Holstein den Sonderpreis „CREATE*IT“. Die erste vollständige Kollektion bestehend aus Pullovern, Blusen und Kleidern befindet sich seit November 2020 im Handel. Alle Stücke werden direkt in Barcelona aus GOTS zertifizierter Bio-Baumwolle hergestellt.
Die durch COVID-19 bedingte Situation traf die Designerin schwer, vor allem bei der Etablierung ihres eigenen Ladens. Das Thema Stillmode lebt – wie fast alles rund ums Thema Kinder – vom direkten Austausch miteinander. Durch die gelockerten Möglichkeiten im Einzelhandel kann Perozo jetzt wieder zu- nehmend direkt mit ihren Kund*innen in Kontakt treten und plant aktuell, Stillkleiderpartys in ihrem Geschäft zu veranstalten. Die ganze Kollektion ihres Schaffens kann während der Öffnungszeiten dienstags, mittwochs und donnerstags von 11.00 – 15.00 Uhr sowie donnerstag-nachmittags von 16.00 – 18.00 Uhr beäugt und anprobiert werden.
Sie erreichen Sie unter:
Perozo
Janet Perozo
Knooper Weg 140B • 24105 Kiel
Tel. 0152-53826962
Web: janet@perozo.de
Instagram @_perozo_
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