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200 Jahre Thonet

Aktualisiert: 21. Feb. 2019

Sitzen als kulturelle Aufgabe - von Astrid Hansen


Nationalbibliothek Leipzig Foto: Achim Hatzius

Der Stuhl ist eine der kulturellen Errungenschaften der Menschheit. Schon im alten Ägypten gab es ihn, wenn auch nur für den herrschenden Pharao in Form eines Thrones. Auch im antiken Griechenland saßen die Menschen auf Stühlen, allerdings bevorzugten sie beim Essen und der Unterhaltung, dem Symposium, das Liegen. In vielen Kulturen wird dem Sitzen auf einem Stuhl, noch heute das auf einem Kissen oder dem Boden vorgezogen.


In Mitteleuropa aber sitzt man gerne auf einem Stuhl, bevorzugt nicht selten auf einem Kaffeehausstuhl! Womit wir beim Thema wären: Einer der berühmtesten seiner Art ist der im Volksmund als Wiener Kaffeehausstuhl bekannte Stuhl Nr. 14 der Firma Thonet. Heute trägt er die Bezeichnung 214, doch verändert hat er sich im Grunde nicht.


Sein Erfinder war der 1796 in Boppard am Rhein geborene und 1871 verstorbene Michael Thonet, dem um 1830 die Erfindung von Bugholz, also das Biegen von Vollholz unter Wasserdampf, gelang. 1819 hatte der Bau- und Möbeltischler Thonet einen eigenen Betrieb gegründet und mit der Herstellung von Stühlen experimentiert. Auf der Koblenzer Gewerbeausstellung präsentierte er seine ersten Möbel, auf die Fürst von Metternich aufmerksam wurde und kurz darauf Thonet mit seiner Familie nach Wien holte. 1842 siedelte er, nachdem seine Firma in Boppard bankrottgegangen war, ganz nach Wien. Dort arbeitete er zunächst für Carl Leistler, der ihn an der Ausstattung unter anderem des Palais Lichtenstein beteiligte. Nicht etwa mit Möbeln, sondern mit aufwendigen Tafelparkettböden, bei denen er auch Bughölzer einsetzte, war er hier vertreten. Diese Technik zählte auch nach der Gründung seiner neuen Firma in Wien zur Produktpalette.

Grand Ferdinand, Wien

Im Zentrum aber stand weiterhin der Stuhl und 1850 war dann endlich die Geburtsstunde eines sogenannten Konsumsessels, dem Sessel Nr. 4 mit und ohne Armlehne gekommen. Auf einer Ausstellung des Niederösterreichischen Gewerbevereins sah ihn Anna Daum und bestellte ihn für ihr neues Wiener Kaffeehaus am Kohlmarkt. Es folgte ein Auftrag für ein Hotel in Budapest und 1851 die Präsentation auf der Londoner Industrieausstellung – der ersten Weltausstellung.

1853 gründete Thonet zusammen mit seinen Söhnen die Firma Gebrüder Thonet und 1856 erhielt diese Firma das Privileg „auf die Anfertigung von Sesseln und Tischfüßen aus gebogenem Holze, dessen Biegung durch Einwirkung von Wasserdämpfen oder siedenden Flüssigkeiten geschieht“, das bis 1869 seine Gültigkeit haben sollte.

Der Stuhl Nr. 14, der vermutlich noch heute einer der Hauptkonsumartikel Thonets ist, kam im Jahr 1859. Die nun einsetzende Massenproduktion dieses Stuhles und sein moderater Preis, waren für den Siegeszug verantwortlich und haben Thonet im kulturellen sowie ästhetischen Gedächtnis verankert.


Mit dem Namen Thonet ist seit 200 Jahren das Sitzen verbunden und spätestens seit dem Stuhl Nr. 14 kann man für sich in Anspruch nehmen, Produkte von zeitloser Schönheit auf höchstem Niveau herzustellen.

Bereits 1905 konnte man für sich reklamieren, alle Weltteile zu beliefern: Nr. 14 etwa in einer Kiste von nur einem Kubikmeter Größe. 36 Stühle in Einzelteilen, bestehend aus 6 Holzelementen, zehn Schrauben und zwei Muttern. Erst vor Ort wurde daraus dann ein benutzbarer Stuhl, über dessen Bequemlichkeit bis heute ganz unterschiedlich geurteilt wird. Das Entscheidende scheint auch weniger seine Bequemlichkeit als seine Schnörkellosigkeit (gewesen) zu sein. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Nr. 4 war er gänzlich von allem Schmuckwerk des 19. Jahrhunderts befreit. Dass er also schon zu dieser Zeit zu einem Erfolgsschlager des Unternehmens werden konnte, ist erstaunlich.


Denn im 19. Jahrhundert, dem Zeitalter der Industrialisierung, will anders als bei Thonet der Übergang von handwerklicher zu industrieller Herstellung noch nicht wirklich ästhetisch gelingen. Möbel, zwar nun industrielle Ware, sind meist noch von Zierrat überladen und von üppiger Größe, so als wären es handwerkliche Einzelstücke. Thonet ist anders. Wenn auch der Stuhl Nr. 14 im bürgerlichen Esszimmer nicht zu finden sein wird, überzeugt er offenbar im täglichen Leben. Das Möbel bestückt den öffentlichen Raum in allen europäischen Metropolen gleichermaßen.


Freischwinger als Limited Edition: Den berühmten Stahlrohr-Stuhl S 533 F von Ludwig Mies van der Rohe gibt es zum Bauhaus-Jubiläum – neu interpretiert vom Hamburger Design-Duo Besau Marguerre

Die Verbindung zwischen traditionellem Handwerk einerseits, industrieller Fertigung sowie der bis zur Reduktion vollendeten Formgebung andererseits, machte Thonet bereits in den Goldenen Zwanzigern für die Avantgarde der Moderne interessant. Architekten wie Mies van der Rohe oder Ferdinand Kramer statteten ihre Wohnungen und Häuser mit Thonet-Möbeln aus, ließen sich gerne sitzend auf ihnen fotografieren und lieferten bald eigene Entwürfe. Man wollte für Thonet entwerfen! Zunächst noch Bugholzmöbel wie etwa den B 403 von Kramer und dann als 1929 das gebogene Stahlrohr Einzug in die Möbelherstellung auch solche. Thonet erhält etwa die Rechte an den Entwürfen von Marcel Breuer und beginnt mit der Produktion dieser Stühle, die bis heute Designikonen sind. Auch Stahlrohrmöbel von Mart Stam (mit künstlerischem Urheberrecht) oder Mies van der Rohe gehören nach wie vor zum Programm.


Aus der Firma Gebrüder Thonet ist 2006 die Firma Thonet GmbH geworden und heute wie damals werden Möbel auf höchstem Niveau von der eigenen Designabteilung oder freischaffenden Designern entwickelt. Thonetmöbel prägen nach wie vor vielfach den öffentlichen und privaten Raum. Als Antiquitäten erringen die Klassiker zum Teil hohe Preise und anlässlich des Firmenjubiläums haben Eva Marguerre und Marcel Besau eine besondere Ausführung des für den berühmten Kaffeehausstuhl 214 kreiert Zum 100-jährigen Jubiläum des Bauhauses gratuliert Thonet mit einer Weiterentwicklung des Freischwingers S 533 F. «



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