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Olivenernte in der Toskana, Lebensraum mit Geschichte

Urlaub 'mal ganz anders



Der Blick über die Terrassen in die weite Ebene war überwältigend. Dicht an dicht drängten sich Reihen von Olivenbäumen, wohin ich mich auch wandte. Vor der Silhouette der Hügelkette des Chiantis lag im Dunst des frühen Morgens in der Ferne die Stadt Florenz mit Ihrer markanten Dom-Kuppel. Die milde Luft des Südens und der erdige Geruch vom nächtlichen Regen ließen mich alle die Anstrengungen des Vortages vergessen. Ich atmete tief durch - ein Glücksmoment.


Mauro, der Mann meiner Nichte Sybille, hatte sich vor ein paar Jahren im Süden Italiens seinen Lebenstraum verwirklicht, einmal Besitzer eines Olivenhains zu sein. In einem spontanen Moment hatte ich meine Hilfe bei der diesjährigen Olivenernte angeboten. Die Fahrt von München nach Florenz war mit der Bahn geplant. Ein erholsamer Schlaf und diese wunderschöne Aussicht am Morgen entschädigten für alles. Mauro wies mich in meine Arbeit ein. Er hatte bereits die großen Netze ausgelegt, die zum Auffangen der Oliven dienen. Zu meiner Ernte-Ausrüstung gehörten eine Schutzbrille, Gartenhandschuhe und ein sogenannter „Rastrello“ (ein kleiner Rechen mit kurzem Stiel).

Die Oliven werden sorgfältig von Hand gepflückt. Mit der einen Hand wird ein Zweig oder ganzer Ast gegriffen, während die Früchte mit der anderen Hand mit Hilfe des „Rastrello“ von den Zweigen abgestriffen werden. Sie fallen dann auf das Netz am Boden. Manchmal ist es auch schonender nur die Hände zu benutzen, um die delikaten Zweige nicht unnötig zu strapazieren. Die Arbeit erscheint einfach, ist aber anstrengend, weil man in den dicht verwachsenen Bäumen fast immer über Kopf arbeiten muss. Um die oberen Bereiche der Bäume abzuernten, benutzt man entweder eine Leiter oder ein klug erdachtes Werkzeug. Es besteht aus einem langen Stiel an dessen Ende zwei überlappende Rechen angebracht sind. Sie werden durch einen kleinen Elektromotor, welcher am unteren Ende des Stiels befestigt ist, gegeneinander vibrierend bewegt. Die am Boden liegenden Früchte werden zu kleinen Haufen zusammengerüttelt und von

Zweigen und Blättern befreit, um schließlich für den Abtransport zur Ölmühle in die

Transportkästen gefüllt werden zu können.


An den ersten drei Tagen ernteten wir zu viert 240 Kilogramm Oliven. Trotz all der Mühe überkam mich eine tiefe Befriedigung, dabei sein zu dürfen. Der Olivenbaum, die Olive und das Olivenöl sind uraltes Kulturgut. Schon die Ägypter haben vor über 4 000 Jahren Olivenbäume gepflanzt und neben der Verwendung des Holzes auch Olivenöl erzeugt.


Wie fanden sie bloß heraus, dass diese Früchte ein so wertvolles Speiseöl erzeugen können?


Die Verarbeitung der Früchte, die sogenannte „Frangitura“ ist ein Erlebnis für sich. Mauro hatte für Freitagabend einen Termin in der Ölmühle vereinbart. Dort angekommen empfing uns der herrliche Duft von frisch gepressten Oliven.


Mehrere Gruppen von Olivenbauern, die vor uns an der Reihe waren, hielten sich

plaudernd und weintrinkend in der großen Halle auf. Wir kamen schnell ins Gespräch

und erfuhren, von wo sie kamen und wieviel sie bisher geerntet hatten.


An den ersten drei Tagen ernteten wir zu viert 240 Kilogramm Oliven.

Spät in der Nacht waren endlich auch wir als Letzte an der Reihe. Es begann ein langer,

ausgeklügelter Prozess. Zunächst wurden die Oliven gewogen und dann außerhalb der

Ölmühle in einen großen Trichter geschüttet, von wo aus sie in das Gebäude rutschten.

Auf einem Rüttelrost wurden Schmutz, Blätter und Zweigreste entfernt. Dann folgte der

eigentliche Verarbeitungsprozess. Die Oliven wurden in einer Kammer zermahlen, vermischt, gerührt und somit von den Kernen befreit. Dabei lösten sich feine Öltröpfchen ab, und wurden später mit einer Zentrifuge (Decanter) von der festen Masse getrennt. Es war ein ganz besonderes Erlebnis, nach der langen Warterei schließlich das grün schimmernde Öl aus dem Hahn in die Edelstahlkanne fließen zu sehen. Mit einer kleinen Geschmacksprobe konnten wir uns von der hervorragenden Qualität überzeugen. Spät in der Nacht fuhren wir mit unserem „Öl-Schatz“ nach Hause. Das war ein sehr befriedigendes Gefühl.


Zum Wochenende bekamen wir Verstärkung von den beiden Kindern meiner Nichte Sara und Mattia. Außerdem stießen noch einige Freunde aus dem internationalen

Bekanntenkreis hinzu. Wir waren eine fröhliche Ernte-Gemeinschaft. Für die Mittagspause gab es schmackhafte, landestypische Speisen. Gegessen wurde im gemütlichen Holzhaus. Es wurde geplaudert, gelacht und gesungen – eine ganz besondere Atmosphäre, bei der Sprachschwierigkeiten keine Rolle spielten. Nach dem Essen machten wir mit viel Spaß und neuer Motivation weiter bis die Nacht einbrach. Und der Einsatz zahlte sich aus.


Mauro brachte am Sonntagabend weitere 360 Kilogramm Oliven zur Ölmühle und konnte daraus 75 Liter feinstes Olivenöl gewinnen.


Nach sechs Tagen nahte das Ende meines Urlaubs, obwohl bis dahin nur etwa ein Viertel

der gesamten Ernte eingebracht war. Für mich war die Zeit wie im Fluge vergangen. Bevor ich jedoch die Rückreise antreten sollte, wollte ich noch einmal dieses unvergleichliche Italien-Gefühl genießen und ging am Sonntagmorgen vor meinem letzten Ernteeinsatz auf einen Espresso in das örtliche Kaffee, den Treffpunkt der lokalen Bevölkerung. Alle redeten durcheinander. Auch ich als Fremder wurde lauthals begrüßt und fühlte mich gleich eingebunden. Das ist eben die südländische Lebensart, die uns Nordländer so anspricht.


Belohnt wurde mein Ernteeinsatz übrigens mit bestem, toskanischen Olivenöl. Am Montagmorgen trat ich schließlich schwerbeladen die Rückreise nach München an – diesmal ohne Hindernisse. Nur die 10 Liter Olivenöl im Reisegepäck brachten mich am Münchener Hauptbahnhof fast zum Stolpern. Trotz der schweren Last überkam mich ein Gefühl der Schwermut, dass diese schöne Zeit so schnell vergangen war und ich nahm mir vor, im folgenden Jahr wieder dabei zu sein.


IN DER KOLUMNE RÜCKBLICK BERICHTET GASTAUTOR PETER BORGWARD REGELMÄSSIG ÜBER PERSÖNLICHE ERLEBNISSE.


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