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Anschauen gern. Anfassen ist tabu.

SIE SIND SCHÖN, ANMUTIG UND WAHRE GIFTSPRITZEN: IM KIELER AQUARIUM GEOMAR LASSEN SICH QUALLEN AUS DER NÄHE BEWUNDERN.


Gute Freunde werden sie wohl nie. Badegäste an den Stränden von Nord- und Ostsee verspüren Quallen gegenüber vielmehr eine solide Abneigung, Begegnungen verursachen Schreckmomente. Nicht ganz zu Unrecht. Denn so harmlos manche Quallen auch sind, sollte man vielen Vertretern dieser Spezies besser nicht zu nahe kommen. Eines aber haben alle Quallen gemeinsam: Sie sind wunderschön. Das Aquarium GEOMAR an der Kieler Förde hat spezielle Becken, in denen Quallen sich in ihrer ganzen Anmut zeigen.

Wenn sie gestrandet im Sand liegen, vergehen sie schnell: Die wasserreichen, gallertartigen Quallenkörper zerfließen zu formlosen Klumpen, vertrocknen in der Sonne und werden von Möwen zerpickt. An unseren norddeutschen Küsten finden Strandbesucher solche Reste meist von der häufigen Ohrenqualle und von Feuerquallen vor. Erstere sind an den charakteristischen vier Ringen in der Mitte des kreisrunden, leicht gewölbten, 20 bis 30 Zentimeter messenden Körpers zu erkennen, ihre Farbe ist unscheinbar weißlich-grau bis gelblich. Die Gelbe Haarqualle (Cyanea capillata) indes trägt ihren umgangssprachlichen Namen Feuerqualle nicht nur des Nesselgifts wegen, das bei Berührungen unangenehme Schmerzen verursacht. Ihre Körper und langen Tentakel sind selbst dann noch unverkennbar gelb bis feuerrot, wenn sie mausetot am Spülsaum liegen.

Mögen an Land geworfene Quallen auch aussehen wie das sprichwörtliche Häufchen Elend, entfalten sie in ihrem Lebensraum Wasser doch anmutige Schönheit. Gut, ein Badeausflug während des lang ersehnten Urlaubs an der See ist vielleicht nicht der beste Zeitpunkt, dies zu entdecken.

Ein Besuch des Aquariums GEOMAR an der Kieler aber schon. Auf 350 Quadratmetern Ausstellungsfläche leben hier in mehreren Becken verschiedene Tierarten aus Nord- und Ostsee, dem Mittelmeer und den Tropen, im Außengehege unterhält eine quirlige Bande von Seehunden die Be- sucher. Und es gibt drei Becken, die ganz den Quallen vorbehalten sind.

Und dort schweben sie: Rhythmisch pulsierend ziehen sie ihren glockenförmig gewölbten Schirm zusammen, drücken so das Wasser darin heraus und bewegen sich nach dem Rückstoßprinzip fort.

Oder sie lassen sich einfach in der Strömung treiben. Ihre Tentakel bewegen sich dabei anmutig wie sanft schwingender Schmuck. „Damit die Besucher diese filigranen und interessanten Tiere aus der Nähe und in Ruhe betrachten können, haben wir diese sehr speziellen Aquarien angeschafft“, sagt Michael Gruber. Er leitet als Mitarbeiter des Kieler Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung das Aquarium, eine Tierpflegerin, ein Tierpfleger und eine Auszubildende komplettieren sein Team. „Das Becken ist ein sogenannter Quallenkreisel“, erklärt Gruber dessen Funktionsweise. „Wir erzeugen darin eine genau berechnete Strömung, damit die Tiere immer in Bewegung bleiben und keine Berührung mit den Scheiben haben.“ Denn Quallen seien sehr empfindlich: „Sinken sie zu Boden oder werden sie mechanisch beansprucht, sterben sie schnell.“

Bislang seien in dem Becken abwechselnd Ohrenquallen (Aurelia aurita) und Rippenquallen (Mnemiopsis leidyi) zu sehen. „Ein weiterer, größerer Quallenkreisel ist kürz- lich in Betrieb gegangen“, macht Michael Gruber neugierig auf noch mehr Einblicke in die Welt der Quallen. „Vielleicht“, sagt Gruber, „stellen wir dann sogar Feuerquallen aus“.

Doch noch einmal zurück an den Strand, etwa nach Kiel-Falckenstein. Oder Schilksee. Wenn die durchs Wasser gleitenden Quallen sanft an Armen, Beinen und Bauch von Schwimmern entlangstreichen, bleibt das wenigstens bei den Ohrenquallen folgenlos. Eine solche Begegnung mit einer Gelben Haarqualle alias Feuerqualle aber ist niemandem zu wünschen: Bei Berüh- rung ihrer feinen Tentakel lösen Nesselzellen aus, deren Nesselschläuche mit bis zu 40.000-facher Erdbeschleunigung die Haut durchdringen und Gift injizieren. Mitunter kann das heftige und schmerzhafte Hautreaktionen hervorrufen. „Es kommt dann zu allergischen Reaktionen der Haut, sie ist gerötet, angeschwollen und brennt“, beschreibt Michael Gruber die Folgen. „Solche Verletzungen sollten Betroffene medizinisch wie eine Verbrennung behandeln“, rät er. Ähnlich wie bei Wespenstichen können einzelne Menschen auch stark allergisch auf das Quallengift reagieren. Dann heißt es: Ab zum Arzt!

Damit es gar nicht erst zu Quallenverletzungen kommt, ist Abstand zu den Nesseltieren geboten: „Wer im Wasser eine größere Ansammlung der Tiere entdeckt, sollte nicht schwimmen gehen“, mahnt Michael Gruber. Selbst tote, am Strand liegende Feuerquallen haben noch scharfe Nes- selzellen. „Um ihre Kinder auf die Gefahr hin- zuweisen und zu schützen, könnten die Eltern ihnen Bilder von Feuerquallen zeigen und Strandschuhe anziehen,“ rät Gruber.

Zu Hause sind Feuerquallen in Atlantik, Ärmelkanal sowie in der Nord- und westlichen Ostsee. Sie sind pelagische Tiere, das heißt, sie leben freischwimmend im offenen Wasser. Ihr schirmartiger Körper misst normalerweise bis zu einem Meter im Durchmesser und erscheint dunkelrot bis gelb. Ihre 70 bis 150 Randtentakel je Gruppe können bis zu 36 Meter lang werden. Die Tiere leben in kleineren Schwärmen und ernähren sich von Zooplankton und kleinen Fischen. Sie fangen die Beute, in- dem sie sich wie ein Schirm ausbreiten und langsam zu Boden sinken lassen, damit sich Beute in ihren Tentakeln verfängt.

Und was, wenn es trotz aller Vorsicht zum Kontakt mit Feuerquallen gekommen ist? „Dann sollten die Nesselkapseln sofort neutralisiert werden“, rät Michael Gruber. Ein bewährtes Mittel hierfür sei Rasierschaum: „Einfach aufsprühen und anschließend mit einem Plastikschaber abziehen.“ Wenn die Unterkunft zu weit weg ist, um den Schaum zu holen oder er in der Kulturtasche ganz fehlt, gehe zur Not auch Sand. Grubers Tipp: „Die geröteten Hautstellen vorsichtig mit feuchtem Sand bedecken und nach dem Trocknen behutsam abschaben, zum Beispiel mit einer Bankkarte; danach hilft eine kühlende Salbe oder ein entsprechen- des Gel“. Und Vorsicht: „Alkohol und Salzwasser verstärken die Aktivität der Nesselkapseln zusätzlich.“ Die Haut reagiere auf Nesselkapseln wie auf eine Verbrennung, weiß Gruber. „Brandsalben und Kühlen der betroffenen Stellen können Linderung verschaffen; lässt die Symptomatik auch dann nicht nach, rate ich, zum Arzt zu gehen.“

Normalerweise kommen gerade die Ohrenquallen recht häufig in Nord- und Ostsee vor. Ab und an gibt es aber sogenannte „quallenfreie Jahre“. Wie zuletzt 2017. Damals haben die Meeresforscher auffällig wenig Quallen in der Kieler Förde beobachtet, Ohrenquallen fehlten ganz und Feuerquallen kamen nur vereinzelt vor. Das entsprach der Situation in anderen Teilen der Ostsee und auch in der Nordsee bei Büsum sah es ähnlich aus. Das Fehlen von Quallen sei ein seltenes Phänomen, weiß Michael Gruber. „Selbst Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich sehr lange und intensiv mit Quallen beschäftigen, haben bis jetzt keine gesicherten Gründe dafür gefunden“, offenbart er. Es gebe nur Vermutungen.

Außergewöhnlich viele Fadenschnecken („die mit Vorliebe die Polypen fressen“),

zu wenig Nahrung („das Ostseewasser war 2017 auffällig klar“) oder wechselnder Salz- und Sauerstoffgehalt des Wassers könnten Ursachen sein. „Zusammenhänge zwischen Naturverunreinigungen und quallenfreien Jahren haben wir bisher nicht bewiesen“, stellt Michael Gruber klar. „Wir forschen jedenfalls weiter, um diesem Phänomen auf die Spur zu kommen.“

Überhaupt ist über Quallen noch wenig bekannt. Sicher ist: Sie sind uralt und ihr Organismus ist primitiv. Schon in den Meeren des Kambriums, also vor mehr als 500 Millionen Jahren, trieben die durchsichtigen, gefährlichen Schönheiten in der Strömung. Im Zentrum ihres Schirmes liegt der Mund, der gleichzeitig die Öffnung des Magens bildet. Die Verdauungsorgane der räuberisch lebenden Tiere sind kreisförmig um den Mund herum angeordnet. Das Waffensystem der Quallen, die Nesseln, ist hoch spezialisiert und reagiert schon auf geringsten Kontakt mit Beutetieren.

Weil hier in den verschiedenen Meeressystemen ideale Lebensgrundlagen für viele Quallenarten zu finden sind, waren Kieler Forscher schon auf den Philippinen und

in Indonesien, um mehr über Quallen zu erfahren. Was sie dabei herausgefunden haben: Das Gift einiger Quallenarten zählt neben dem der Seeschlangen zu den stärksten Giften im Tierreich. Und was in Nord- und Ostsee meist harmlos verläuft, kann in tropischen und subtropischen Meeren sehr unangenehm werden, eine Begegnung etwa mit einer Seewespe oder Philippinischen Killerqualle für Menschen sogar tödlich enden. Vor Australiens Küsten finden jährlich mehr Menschen durch Begegnun- gen mit Seewespen den Tod als weltweit durch Hai-Unfälle. Selbst Berührungen mit einzelnen Tentakelteilen könnten Unfälle herbeiführen, haben die Wissenschaftler herausgefunden. So könne es etwa sein, dass Tentakel von Quallen, die sich in den Netzen verfangen haben, durch starke Strömungen abgerissen und an den Strand gespült werden. Erst, wenn die Giftkapseln vollkommen ausgetrocknet sind, würden sie ungefährlich.


Vermutungen, dass Quallengift durch Umwelteinflüsse stärker werde, bestätigen die Wissenschaftler indes nicht.

Genauso falsch sei die Annahme, vor einigen Jahren in Nord- und Ostsee gehäuft beobachtete Riesenquallen seien durch Umwelteinflüsse mutiert. Vielmehr können Feuerquallen manchmal von Natur aus bis zu zwei Meter groß werden. Aber keine Sorge: Tiere dieser Größe tauchen hauptsächlich in arktischen Gewässernauf, nicht an unseren Norddeutschen Küsten. Es sei denn, es gibt eine besondere Meeresströmung...


Aquarium Geomar Düsternbrooker Weg 20 24105 Kiel Tel.: 0431 – 6001637 www.aquarium-geomar.de

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