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Wie wundervoll…

Aktualisiert: 8. Aug. 2018




Von letzten Wünschen, Dankbarkeit und der palliativmedizinischen Arbeit in Kiel


Im Redaktionspostfach blinkt eine Mail, der Betreff macht uns neugierig. Der Absender hat die erste Ausgabe von JO. gelesen und möchte uns von einem Projekt erzählen, das Aufmerksamkeit verdient hat. Wir lesen weiter und stimmen zu. Weil wir mehr erfahren wollen, treffen wir die Verantwortlichen. Und auch wenn wir angesichts des Themas nicht mit einem seichten Kaffeekränzchen gerechnet haben, sitzen wir mitten im Interview doch da und müssen schwer schlucken. Ganz schwer. Rückblickend würde ich sagen, schwankten wir wohl emotional zwischen Betroffenheit, Bewunderung und Dankbarkeit. Leichte Kost ist das nicht…

Was hier geleistet wird – auf der Schmerz- und Palliativstation des UKSH und dank des Fördervereins für Palliativmedizin Kiel e.V. auch außerhalb der Klinikmauern in ganz Kiel – das ist eine beeindruckende Teamarbeit von empathischen, herzlichen und professionell ausgebildeten Ärzten, Pflegekräften, Physiotherapeuten, Psychologen, Musik- und Kunsttherapeuten, Seelsorgern, Sozialarbeitern und Ehrenamtlichen. Sie alle begleiten Patienten, die unheilbar erkrankt sind, und ihre Angehörigen. Palliative Behandlung soll ganzheitlich sein, belastende Symptome lindern und die Lebensqualität der Betroffenen erhalten beziehungsweise verbessern. Aber sie ist nicht düster, beklemmend oder pathetisch! Wir haben unglaublich aufgeschlossene, warmherzige und lebensbejahende Menschen kennengelernt, die in dieser (zugegebermaßen schwierigen) Arbeit aufgehen – weil es ein Geben und Nehmen ist.

Wenn Ärztin Anika Neumann und Krankenschwester Margret Wietfeld von ihrer Arbeit erzählen, strahlen sie. Das Thema ist schon schwer genug, da tut ihre positive Ausstrahlung gut. Viele Patienten, die sich mit ihrem Lebensende auseinander setzen, wollen nicht passiv auf den Tod warten, sondern im Leben sein, umgeben von Menschen. Weil sie diese Bedürfnisse ihrer Patienten so gut wahrnehmen kann, kam Anika Neumann Ende 2016 auf die besondere Idee, ihnen Wünsche zu erfüllen, die sie noch haben. Und so leitet sie gemeinsam mit Margret Wietfeld das Projekt „WunderVoll“. Es ist ein Projekt des Fördervereins für Palliativmedizin Kiel e.V., bei dem die Mitarbeiter der Palliativstation in ehrenamtlicher Teamarbeit schaffen, dass die Patienten, die auf der Station oft ihre letzten Tage verbringen, noch einmal erleben, was sie im Leben erfüllt hat oder was sie noch gewünscht haben.

„Die Wünsche sind so verschieden, wie die Patienten selbst“, erzählt Margret Wietfeld. „Von kleinen Wünschen, wie beispielsweise noch einmal die heißgeliebte Fliederbeersuppe zu essen, mit dem Partner ans Meer zu fahren oder den Duft von Frühlingsblumen in der Nase zu haben, bis hin zu größeren Aktionen – wir versuchen alles möglich zu machen!“ Wenn Patienten sich wünschen, noch einmal ihr geliebtes Haustier bei sich zu haben, dann dürfen die Angehörigen die Tiere mit auf Station bringen. Ein Patient konnte dank des Wunschprojekts das Firmenjubiläum besuchen, auf das er sich so gefreut hatte. Einem anderen Patienten, der Musiker war, konnte ein kleines Privatkonzert eines Geigers aus dem Kieler Opernhaus ermöglicht werden. Tätowierungen, Ausflüge, Fototermine mit der Familie, sogar zwei Rundflüge über Kiel hat es schon gegeben. Vieles ist möglich. Allerdings steht bei der Wunscherfüllung immer eine Frage über allem: Wie viel kann der Patient vertragen, sodass er es noch genießen kann? Deshalb können die Patienten mehrere Wünsche äußern, sodass im Team entschieden werden kann, welcher dieser Wünsche umsetzbar ist. Dass diese Pläne dann so kurzfristig realisiert werden können – sehr oft bleibt einfach nicht mehr viel Zeit – ist dem ehrenamtlichen Engagement des Teams rund um Anika Neumann und Margret Wietfeld und besonders den vielen Helfern, die Geld oder Zeit spenden, zu verdanken! „Egal an wen wir uns mit einem Wunsch wenden – Restaurants, Piloten, Tätowierer, Floristen, Kapitäne, Fotografen – wir werden sofort tatkräftig unterstützt! Für jeden einzelnen Kooperationspartner oder Spender sind wir so dankbar!“, erzählt Anika Neumann.

So ergreifend die Vorstellung von dem dankbaren Lächeln des Patienten auch ist, so vielschichtig ist allerdings auch die emotionale Auseinandersetzung mit dem Tod. Nicht selten reagieren Menschen zuerst panisch, wenn ihnen die Erfüllung eines Wunsches angeboten wird. Plötzlich wird ihnen bewusst, dass das Ende naht. „Gerade junge Menschen, die Angst haben zu sterben, können dann einen großen Druck empfinden“, erklärt Stationsleiter Dr. Christian Graviat. „Aber für viele Patienten ist allein schon das Formulieren eines Wunsches eine Befreiung. Man wartet nicht nur passiv auf den Tod, sondern hat durch diese Wunscherfüllung ein neues Ziel vor Augen. Man kann noch einmal aktiv im Leben sein, umgeben von Menschen oder Dingen, die einem im Leben gut getan haben.“ Nicht selten hilft dieses Erlebnis bei dem Prozess des Loslassens.

Das Projekt „WunderVoll“ des Fördervereins für Palliativmedizin Kiel e.V. ist aber nur ein Teil der palliativen Arbeit in Kiel. „Die Schmerz- und Palliativstation des UKSH ist quasi die Keimzelle, aber der Förderverein für Palliativmedizin greift im gesamten Uniklikum und auch außerhalb der Klinikmauern“, erklärt Prof. Dr. Dieter Siebrecht, Leitender Oberarzt der Station und stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins. Dank des Fördervereins konnte vor zwei Jahren ein palliativer Konsildienst eingerichtet werden, der auch all denjenigen Patienten, die nicht auf der Palliativstation aufgenommen werden können, eine palliative Versorgung auf allen Stationen des Klinikums anbietet. Auch hier arbeiten die verschiedenen Berufsgruppen zusammen, um die Patienten vor Ort mit palliativmedizinischen Themen zu unterstützen und die Angehörigen mit einzubinden. Das entlastet nicht zuletzt auch das dortige Personal. „Im normalen Klinikalltag steht eher die Krankheit des Patienten im Fokus. Der Ansatz der Palliativmedizin ist allerdings ganzheitlicher“, erklärt Prof. Siebrecht. „Unsere Behandlung beginnt in der Regel mit einer Therapiezieländerung. Dem Patienten und seiner Familie wird klar, dass Heilung nicht mehr möglich ist, sondern die Zeit, die er noch hat, begrenzt ist. Wir konzentrieren uns also nicht mehr nur auf seine Krankheit, sondern vor allem auf seine Biografie. Das Haupttherapiemoment ist also Kommunikation. Dabei unterstützen wir den Patienten dabei, wenn er sich mit seinem Leben auseinander setzt.“ Wenn sich der Patient bei diesem Prozess Fragen stellt (Wie habe ich gelebt? Was gibt es noch für Nichtgelebtes? Was möchte ich noch klären?), wird er von den Palliativmedizinern bei diesem Prozess begleitet.

Weil das Thema Tod oft mit Sprachlosigkeit verbunden sei, erklärt Prof. Siebrecht, sei es oft hilfreich, wenn ein anderes Medium des Ausdrucks genutzt werden kann. Manche Patienten schaffen es, sich in Bildern auszudrücken, andere erschaffen Figuren. Diese kunst- und musiktherapeutischen Projekte, die nicht von den Krankenkassen unterstützt werden, werden ebenfalls durch den Förderverein ermöglicht. Professionell ausgebildete Therapeuten entlasten auch hier das medizinische Personal. Seit neuestem kann sogar tiergestützte Therapie angeboten werden. Von den therapeutischen Fortschritten können wiederum das gesamte Behandlerteam und vor allem der Patient und seine Angehörigen profitieren.

Und auch die Projekte, die der Förderverein nach außen richtet, folgen diesem professionellen Ansatz. Seit Anfang 2017 nutzt der Verein sein Wissen und seine Expertise, um die palliative Versorgung in Pflegeheimen zu verbessern, indem Pflegeheimmitarbeiter ausgebildet werden und ihre Patienten vor Ort besser versorgen können. Kooperationen wie beispielsweise die mit dem Hospiz und auch der Hospizinitiative Kiel erweitern die palliative Arbeit auch auf Hospize und niedergelassene Mediziner, was nötig ist, da sich immer mehr Menschen entscheiden, sich zuhause statt in einer Klinik zu verabschieden. In Form von Netzwerkarbeit versucht der Förderverein für Palliativmedizin Kiel die Versorgung von unheilbar Erkrankten besser zu gestalten und ihre Angehörigen aktiver einzubinden – verständlich also, dass der Verein um jede Unterstützung in Form einer Mitgliedschaft oder Spende dankbar ist.

So viel Input in so kurzer Zeit, uns schwirrt der Kopf. Das Herz ist dankbar. Dafür, dass all diese Menschen uns von ihrer Arbeit erzählen. Dass sie sich mit so viel Herzblut für Menschen engagieren, die es ohne diese Begleitung noch schwerer hätten, als ohnehin schon. Dass man sich dadurch irgendwie getröstet fühlt, obwohl man nicht in derselben Situation steckt. Dass mein weiß, dass man nicht allein dastünde, wenn es anders wäre. Und dafür, dass sie uns zeigen, dass die Beschäftigung mit dem Tod auch eine positive Energie freisetzen kann.


Wer mehr über die Arbeit des Fördervereins für Palliativmedizin Kiel e.V. lesen oder erfahren möchte wie er die Arbeit des Vereins unterstützen kann, findet weitere Informationen unter www.fvp-kiel.de.


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